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Gegen 18 Uhr folgten viele, viele Kinder mit ihren leuchtenden Martinslampen und den Eltern dem Hl. Martin auf einem Schimmel den Straßen Lengfelds vom ÖZ zu ihrem Kindergarten. Lieder wurden gesungen: „Ich geh mit meiner Laterne...St. Martin ritt durch Schnee und Wind....“ Doch an diesem Abend kam nur Regen vom Himmel.

Viele Regenschirme versperrten die Sicht auf die leuchtenden Lampen. Dennoch zeigten die Kinder den Eltern, wie sie sich St. Martin folgend den steilen Anstieg hochkämpften und dabei dem Regen trotzten. In ihrer Arche Noah waren sie in ihrem Zuhause angekommen, hier war es warm, hell und es gab Essen und Getränke. Nicht nur die Kinder hatten leuchtende Augen, auch die Augen der Großen strahlten. Die Erinnerungen kamen hoch, wie es damals war als sie selbst als Kinder den Spuren St. Martins auf dem Pferd und dem Bettler folgten.

Woher kommt eigentlich dieser Brauch? Die Umzüge gehen auf zwei Traditionen zurück – eine alte und eine relativ neue. Eine Martinsverehrung gibt es, seitdem das Maingebiet christlich wurde. Und am Ende des 2. Weltkrieges haben Evakuierte aus dem Rheinland den Brauch des Martinszuges nach der langen dunklen Zeit wieder neu zum Leben erweckt.

Werner Trost schreibt in seinem Werk „Wörth am Main, Chronik einer fränkischen Kleinstadt“ (Bd. 4, Seite 200): „St. Martin als römischer Soldat Martinus, ein Reiter und Kämpfer auf einem edlen Roß mit seinem leuchtenden Mantel bekleidet. St. Martin als Bischof, ein tiefgläubiger Mann der die ersten Klöster des Abendlandes gegründet hat, und 371 n. Chr. Bischof von Portiers wurde.

Martinus, 316/317 n. Chr. in Ungarn geboren, lebte zur Zeit der Völkerwanderung und wurde von den damaligen Stürmen der Zeit hin und her geworfen. In jungen Jahren wurde er zum Kriegsdienst in einer Reiterabteilung abkommandiert. Vor dem Stadttor von Amiens trifft er um 334 n. Chr. auf den Bettler. Ganz unmilitärisch teilt er mit dem Bettler seinen Soldatenmantel. Aus dem heidnischen Soldaten wurde ein Christ, schließlich ein Bischof und ein Heiliger. Am 08.11.397n. Chr. ist Martinus verstorben und am 11.11.397 n. Chr. beerdigt worden.

Martin zeigt als erster Alternativen auf:
- er versteht sich als Diener seiner Mitmenschen, im Sinne eines Samariters,
- er zieht sich in die Einsamkeit zurück, verzichtet auf irdische Güter und Macht,
- er wird Bischof von Tours.

Von Zeitgenossen und der Nachwelt zum christlichen Kämpfer stilisiert, im Sinne der germanischen Franken. Martin wird zum Schutzheiligen vom fränkischen König Chlodwig, der sich um 500 n. Chr. taufen ließ und damit zu einem der beliebtesten Heiligen.
St. Martin wurde zum Schutzpatron des Bistums Mainz, der Stadt Aschaffenburg und vielen weiteren Kirchen im Untermaingebiet. Die alten Martinskirchen Großostheim, Mömlingen, Wörth und Bürgstadt gehörten z. B. zu einem System frühfränkischer, königlicher Stützpunkte im Abstand von ca. 18-20 km.

Am Abend des 10. November 1945 gingen 14 Kinder aus der Düsseldorfer Siedlung in meiner Heimatstadt Wörth am Main erstmals mit ihren selbstgebastelten Martinslampen durch die Straßen und sangen Martinslieder. Seitdem hat jedes Jahr am 10, November ein besonderer Zauber einen alten Kinderreim außer Kraft gesetzt: „Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht!“ An diesen Abenden durften Kinder ihre Martinslampen mit brennenden Wachskerzen alleine durch die Straßen tragen. Es war seitens der Älteren ein großes Vertrauern, dass die Kinder sorgsam sind und keinen Unfug machen werden. Im Jahr 1946 gingen 120 Kinder, im Jahr 1948 waren es 250, im Jahr 1951 schon 500 Kinder, im Jahr 1954 mit den Kindern der Nachbarorte 1000 Kinder, im Jahr 1958 waren es bereits 3000 Buben und Mädchen, auch aus Frankfurt, Darmstadt, Offenbach, Hanau und im Jahr 1965 sage und schreibe 4500 Kinder, 6 Musikkapellen, darunter eine der US Armee aus Aschaffenburg, das größte Kinderfest am bayerischen Untermain.

St. Martin war mit seinem Roß und dem Bettler am Ausgangsort angekommen, da waren die letzten noch nicht losgelaufen. Seitdem wurden die Martinszüge auch in den umliegenden Orten durchgeführt. Die besten Martinslampen bekamen immer Preise: 1949 einen Wintermantel oder Anzug, 1954 waren es 6 Mäntel, mehr als 15 Hosen und Kleider, 50 Wollschals u.a. Im Jahr 1945 bekam jedes Kind einen gebackenen Wasserwecken, dann gab es später Äpfel, Nüsse und Dörrzwetschgen, sehr viel später waren auch Orangen und Süßigkeiten dabei. Der Turm der Wolfgangkirche in Altwörth wurde von der Feuerwehr immer bengalisch beleuchtet. Ab 10. November 1961 wurden in den Wohnhäusern entlang des Zuges rote Kerzen in Erinnerung an die Schwestern und Brüder im anderen Teil Deutschlands aufgestellt.

Warum schreibe ich das heute auf? Ich war am 10. November 1949, fast vierjährig an der Hand meiner großen Schwester erstmals mitgelaufen und habe mit darauf geachtet, dass die Lampe unbeschadet den Zug übersteht. Das war wichtig, sie wurde ja im folgenden Jahr wieder gebraucht. Jetzt bin ich am 11. November 2024 wieder in Lengfeld mit einem Martinszug gelaufen. Eine Menge Erinnerungen wurden geweckt.

Norbert Hennrich

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