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Wer länger nicht mehr im Kürnachtal spazieren war, dürfte bei einer Runde am Bach erstaunt sein: Auf Höhe des Spielplatzes in Richtung Estenfeld biegt die sonst schnurgerade verlaufende Kürnach plötzlich in einem scharfen Knick ins benachbarte Feld ab. Dort zieht sie in der prallen Sonne und deutlich verlangsamt eine gemächliche Schleife, um dann abrupt ins alte Bett zurückzukehren. Wir haben nachgefragt, was dahinter steckt.

Während an einer Stelle Steine für Geplätscher sorgen, steigt aus den Flachwasserbereichen modriger Geruch auf. Der mancherorts rissige Boden verrät, dass der Bach zuweilen aus dem Bett tritt. Barfuß-Spuren im Matsch und ein unter den Bäumen zurückgelassener Einweggrill sowie leere Bierflaschen lassen zunächst an eine Naherholungswiese oder einen Wasserspielplatz denken. Doch genau das ist die neue Bachschleife nicht, sondern ein Gewässer-Renaturierungsprojekt, das von der Stadt Würzburg und der Regierung von Unterfranken umgesetzt wurde.

Lageplan Kuernach Lengfeld webPlanerische Darstellung der geplanten Maßnahme. (TEAM 4/ Stadt Würzburg) Pilotprojekt
Bereits im Mai 2022 war an den Regierungen von Ober- und Unterfranken das Pilotprojekt „Auf zu lebenswerten Bächen“ gestartet worden. Hintergrund ist, dass viele Fließgewässer in Unterfranken in keinem guten ökologischen Zustand sind, die gesetzlichen Vorgaben dies jedoch bis 2027 fordern. Das Projekt sieht großzügige Fördermittel für Kommunen vor, Ziele sind die Schaffung und Wiederherstellung natürlicher Lebensräume, die Förderung der Artenvielfalt und die Verbesserung des Wasserrückhaltes in der Fläche. Im Kürnachtal wurde im Herbst 2023 ein etwa 120 Meter langer ein Abschnitt der vor Jahrzehnten begradigten Kürnach verfüllt und ein neuer Gewässerverlauf mit Rückhaltemulde und Sedimentfang angelegt. Totholz, Störsteine, Gehölze und Stauden sollen Lebensräume für Tiere schaffen, die Auenbereiche sollen Hochwasserspitzen abmildern und bei Trockenheit Wasser zurückhalten. Außerdem wurde ein Amphibienlaich¬tümpel geschaffen, so dass insgesamt 1000 Kubikmeter Boden aus dem Talraum der Kürnach entfernt wurden. Die Kosten belaufen sich laut Auskunft von Wolfgang Roth, selbst Lengfelder und seit 2002 Mitglied des Würzburger Stadtrats, auf einen Betrag in sechsstelliger Höhe.

Das Land, auf dem Bachlauf und Laichtümpel angelegt wurden, „gehört der Stadt Würzburg“, informiert Roth, der unter anderem im Naturschutzbeirat der Stadt sitzt. Die Renaturierungs-maßnahme sei eine „verpflichtende, naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme für das Baugebiet Lengfeld 22A“. Die Umsetzung an dieser Stelle direkt an der Kürnach hält Roth für „sinnvoll“. Seines Erachtens wurde „ein Mehrwert für die Umwelt und die Natur geschaffen“.

Bachpächter und -pate Matthias Hampl sieht das etwas anders. „Die Kürnach ist Lengfelds Lebensader, der Ort lebt mehr von der Kürnach als den meisten Menschen bewusst ist“, sagt er mit Blick auf den einzigen noch funktionierenden Bachlauf im Stadtgebiet, in dem Forellen und andere bachtypische Kleinfische existieren können. Obwohl stark reguliert und begradigt habe der Bach auch noch wertvolle naturnahe Teilstücke. Er selbst ist erfreut, dass man das Wohl des Baches im Blick hat, das aktuelle Projekt hat für ihn aber lediglich „Symbolcharakter“. Seiner Ansicht nach wurde die Maßnahme „viel zu schnell und nicht durchdacht genug“ umgesetzt. Der Zustand des Baches in diesem Bereich sei „aktuell schlechter als vorher“.

Ungünstiger Standort
Für Hampl ist der Standort der Maßnahme „ungünstig gewählt, weil er spielende Kinder vom Kinderspielplatz sowie Feiernde vom Grillplatz anzieht. Das störe die Entstehung von Artenvielfalt massiv.“ Den frisch angelegten Amphibienteich hält er für sehr wertvoll, hätte sich aber gewünscht, dass man ein größeres Stück renaturiert und eine Anbindung an das Au-Wäldchen schafft.
Wolfgang Roth weist die Kritik zurück: „Den Standort kann man sich nicht immer aussuchen, sondern er muss auch verfügbar sein.“ Gleiches gelte für die Länge.

Kürnach Renaturierung 4 webFoto: Anja LeggeZu wenig Naturnähe
Laut Hampl ist der neue Bachlauf „viel zu künstlich angelegt“. Mit Mäandern habe das Ergebnis nichts zu tun. So führe die rechtwinklige Ein- und Ausleitung spätestens bei Hochwasser zu Problemen. Ab etwa der Mitte des neuen Betts werde die Fließgeschwindigkeit deutlich langsamer, der Bach beginne zu verschlammen, was die Lebensbedingungen für Fische und Wasserinsekten verschlechtere. „Fische und Nährtiere brauchen einen Untergrund aus Sand, Kies und Steinen, die ein Lückensystem bilden. Wurzeln und Unterspülungen geben Schutz“, erklärt Hampl. Dies sei im alten Bachbett stellenweise der Fall gewesen. Die neu angelegte Bachschleife werde wieder einige Jahre brauchen, bis sie ein ökologisch vielfältiger Lebensraum ist. Im Schlamm fühle sich nur der Schlammröhrenwurm wohl; Köcherfliege, Eintagsfliege, Steinfliege oder Bachflohkrebs würden schlammige Areale dagegen meiden. Auch dass man das alte Mutterflussbett zugeschüttet hat, ist für Hampl unverständlich: Damit hat man ein „Biotop für zahlreiche Tierarten zunichte gemacht“.
Wolfgang Roth kann diesen Kritikpunkt gut nachvollziehen: Auch er hätte „die „Planung anders – nämlich organischer und weniger rechtwinklig – gewählt“.

Wasserqualität als Hauptproblem
Hauptkritikpunkt ist für Hampl die Wasserqualität: Das Fehlen bachtypischer Wasserpflanzen im Unterlauf ab Lengfeld sei ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Bachwasser belastet ist. Die Renaturierung „verbessert nicht die Wasserqualität“; die sei aber ausschlaggebend für Schutz und Entwicklung von Flora und Fauna. Schuld an der schlechten Wasserqualität seien die viel zu klein dimensionierten Regenüberlaufbecken und die Mischkanalisation, in der das Regenwasser gemeinsam mit den Fäkalien abgeleitet wird. Trotz massiver Kritik und verfügbarer Lösungen gelange bis heute bei jedem stärkeren Regenfall Abwasser über die Entlastungsbauwerke in den Bach. Das Wasserhaushaltsgesetz fordere dagegen eindeutig den Umbau zu Trennsystemen oder groß angelegte Abwasserrückhaltebecken – eine Aufgabe, die den Anlieger-Gemeinden zukommt. Denn: „Die Kürnach muss aktiv geschützt und gefördert werden!
Der Würzburger Stadtrat Roth informiert, dass „bei allen Neubaugebieten ein Trennsystem installiert bzw. dafür gesorgt wird, dass das Regenwasser das Baugebiet nicht verlässt. Dazu werden Zisternen, Rigolen, Speicher und Mulden geschaffen und das Regenwasser bewirtschaftet.“ Ein Umbau des vorhandenen Systems „würde jeden Haushalt mit einer fünfstelligen Summe belasten, sofern es überhaupt technisch möglich wäre“, so Roth weiter. Dennoch versuche man „bei Sanierungen und Erneuerungen bereits heute Verbesserungen zu schaffen“.

Anja Legge

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