Ein großes Thema hatte sich der Freundeskreis des Ökumenischen Zentrums Würzburg in diesem Jahr für seinen jährlichen Gesprächsabend im Oktober vorgenommen: In Kooperation mit der Akademie Domschule und dem Rudolf-Alexander-Schröder-Haus ging es um den „Religionsunterricht 2033 –Herausforderungen, Diskussionen und Zielperspektiven“.
Der Vorsitzende des Freundeskreises des Ökumenischen Zentrums Jochen Scheidemantel freute sich in seiner Begrüßung sehr, „dass wir ein hochkarätiges ökumenisches Expertenteam für dieses Thema gewinnen konnten“. Ausgangspunkt für die anstehenden Fragen sei die Tatsache, „dass Religionsunterricht in Deutschland zwar per Grundgesetz gesetzlich abgesichert ist, aktuell aber in öffentlichen Debatten immer häufiger und lauter in Frage gestellt wird“.
Prof. Dr. Ilona Nord vom Lehrstuhl für Evangelische Theologie II und Prof. Dr. Johannes Heger vom Lehrstuhl für Religionspädagogik stellten zunächst den Status Quo in Bayern vor. Die Grundlage des konfessionellen Religionsunterrichts wurde von den Verfassungsvätern und -müttern mit Artikel 4.1 (Recht auf Religionsfreiheit) und Artikel 7.3 (Verankerung des RU als ordentliches Lehrfach) des Grundgesetzes gelegt. Der Religionsunterricht ist demnach konfessionell und wird durch theologisch und religionspädagogisch ausgebildete sowie kirchlich beauftragte Lehrkräfte erteilt.
Zur Normalität in Bayern gehört laut Heger und Nord aber auch, dass im Jahr 2022 nur noch 25 % der SchülerInnen römisch-katholisch und 23 % evangelisch waren. Während diese Anteile schwinden, bleibe der Anteil muslimischer SchülerInnen (4 %) konstant, der Anteil christlich-orthodoxer Christen nehme zu (aktuell 2%) ebenso wie der der Konfessionslosen (aktuell 44 %). Die Zunahme von Ethik als Ersatzfach sei „ein Spiegelbild dieser Entwicklung“; hinzu komme der übergreifende Religionsunterricht (4,4 %) und der islamische Unterricht im Sinne einer Islamkunde.
„Angesichts der erodierenden Normalität müssen wir uns fragen, ob das inhaltliche Profil des Religionsunterrichts noch auf die aktuelle Situation passt, das Modell des konfessionellen Unterrichts noch tragfähig ist und welche Rolle Religion gegenüber Ethik spielt“, so Nord und Heger.
In der Bevölkerung finde die Frage nach einem gemeinsamen Werte-Unterricht in der Schule hohe Zustimmung, berichten die Fachleute. Ob dabei allerdings die eigene Religion im Zentrum stehen sollte, wird eher skeptisch beantwortet. Auch Schülerinnen und Schüler können spannenden Themen aus Religion und Ethik noch etwas abgewinnen, sie sehen aber meist keinen Zusammenhang zur eigenen Lebenspraxis. Die Politik betont dagegen noch immer die Normalität von 1949 als Regelfall, monieren Ilona Nord und Johannes Heger – und das, obwohl der Weg sich bereits jetzt massiv verändere, ohne bewusst gestaltet zu werden.
Religiöse Bildung müsse auch künftig als Regelschulfach an der Schule erhalten bleiben, fordern die beiden Fachleute, empfehlen aber keine apologetische Struktur (= die kirchliche Lehre verteidigend), sondern einen konstruktiv-kritischen Umgang, der zu Religionskritik befähige und Fundamentalismus entgegenwirke: „Es geht nicht um einen abstrakten Wertecontainer, sondern um eine gelebte Kultur des Glaubens.“
„Auf dem Weg der Normalität zu bleiben, käme einer Fahrt auf der Titanic gleich“, resümieren Heger und Nord nüchtern. Auch Religionskunde oder Ethik für alle seien keine Option für die Zukunft. Zukunftsfähig werde religiöse Bildung nur dann, wenn sie einen Bezug zur Lebenswirklichkeit des Menschen habe, also digital, kreativ, authentisch und aktiv wird. Auch ein kooperativer Zuschnitt sei naheliegend. Am wichtigsten sei aber der echte Lebensbezug: „Es muss um Fragen gehen, die die Schülerinnen und Schüler umtreiben, Religion ist kein enzyklopädisches Wissen, sondern ein Weltzugang, der dabei helfen kann, die Fragen dieser Welt zu beantworten.“ Am Ende des dialogisch-ökumenischen Vortrags stand die Vision eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts im Jahr 2033, und zwar nicht als Ausnahme, sondern als Regelfall.
Den Bezug zur Praxis stellte dann Dr. Andrea Betz her, Religionslehrkraft und Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik. Ihrer Aussage nach spielt Zukunft des Religionsunterrichtes im Alltag aus Zeitgründen kaum eine Rolle. Allenfalls während der Corona-Einschränkungen sei eine Zusammenlegung des Religionsunterrichts fraglos hingenommen worden. Zugleich werde die Legitimation von Religionsunterricht zunehmend schwieriger. Wünschen würde sich Betz, dass die Lehrkräfte vor einer Entscheidung um Rat gefragt werden, denn: „Wir sind in der Praxis.“
Auch muslimischer und orthodoxer Religionsunterricht spielen eine immer stärkere Rolle. Hier sei es wichtig, sowohl bei der Ausbildung als auch im Unterricht für die Heterogenität zu sensibilisieren und diese in den Unterricht einzubinden. Bei der Ausbildung gehe es dabei keineswegs darum, angehende Religionslehrkräfte zu ExpertInnen für alle Religionen und Konfessionen zu machen: „Das wäre eine maßlose Überforderung“, so Ilona Nord. Sie empfiehlt „das Studium einer Konfession mit Tiefgang, um von dort aus den Dialog zu suchen“. Und Johannes Heger fügt hinzu: „Konfessionalität bedeutet Bekenntnis und Positionierung. Wir brauchen eine Didaktik, die Gleichheiten und Differenzen benennt und zur Positionierung herausfordert.“
Die anschließende, von Domschul-Studienleiterin Dr. Regina Augustin moderierte Gesprächsrunde nutzen viele Anwesende für engagierte Statements. So berichtete eine Religionslehrerin, dass „das Fach Religion stark angezweifelt wird und man sich gerade selbst abschafft“, eine andere ergänzte, „dass Kinder von ihrer Konfession keine Ahnung mehr haben“. Auch die beiden Schulreferenten Schulamtsdirektor Jürgen Engel (Bistum Würzburg) und Kirchenrat Uwe Schlosser (Kirchenkreis Ansbach-Würzburg) waren anwesend und versicherten, dass man sich der Probleme sehr wohl bewusst sei: „Die beiden Kirchenleitungen sind hier im intensiven Gespräch!“
Anja Legge