„Die“ Kirche war schon immer vielfältig. Schon seit ihrem Beginn vor fast 2000 Jahren. Die Gemeinden in Jerusalem, in Korinth, in Philadelphia, in Alexandrien, in Antiochien oder in Rom hatten ganz unterschiedliche Wurzeln und Gründungsgestalten. Von einigen wird in der Apostelgeschichte und den Briefen des Neuen Testaments berichtet: Jakobus, Petrus, Paulus, Johannes. Von anderen wie Markus, Bartholomäus, Andreas, Philippus und Thomas können wir in den vielen altkirchlichen Gründungslegenden nachlesen.
Später waren es dann v.a. die kulturellen und sprachlichen Unterschiede, die zu den vielfältigen Ausformungen des Christentums führten: die Sprachen Griechisch, Ost- und Westsyrisch, Armenisch oder das neuägyptische Koptisch haben auch das Selbstverständnis vieler Kirchen geprägt. Aber auch theologische Differenzen z.B. um das Verhältnis von Gott Vater, Christus und den Heiligen Geist konnten nicht ausgeräumt werden. Und so entstanden in Folge des Konzils von Chalcedon im Jahr 451 die Orientalisch-Orthodoxen Kirchen wie z.B. die Armenisch-Apostolische, die Koptisch-Orthodoxe oder die Syrisch-Orthodoxe Kirche.
Das Jahr 1054 gilt als zweiter Scheidepunkt: Aufgrund der theologischen Frage des „filioque“, also ob der Heilige Geist nur aus dem Vater oder auch aus dem Sohn hervorgeht, des Streites um die Vormachtstellung des Papstes, v.a. aber der kulturellen und politischen Unterschiede trennte sich der Hauptstrom des Christentums. Auf der einen Seite (also im Herrschaftsbereich des griechisch-sprechenden Byzantinischen Kaiserreichs) entwickelte sich die Östlich-Orthodoxe Kirche. Dazu gehören heute u.a. die Griechisch-Orthodoxe, die Russisch-Orthodoxe und die Rumänisch-Orthodoxe Kirche. Ehrenvorsitzender ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel. Auf der anderen Seite, im Westen Europas, bildete sich die Lateinische Kirche heraus, welche im Papst ihr Oberhaupt sah. Vereinfacht kann man auch von der mittelalterlichen Katholischen Kirche sprechen. Doch schon im Spätmittelalter gab es Reformbewegungen, welche die Allmachtstellung des Papstes, das sakramentale Priestertum und den Reichtum der Kirche in Frage stellten. Die Waldenserkirche und die Böhmischen Brüder gehörten dazu; sie wurden hart bekämpft und konnten nur in kleinen Gruppen überleben.
Der dritte große Scheidepunkt waren die vielfältigen Reformationen des frühen 16. Jahrhunderts, die teilweise auf den vorreformatorischen Bewegungen aufbauen konnten. So begann innerhalb der westlich-lateinischen Kirche dieser theologische Aufbruch mit der Frage nach Gottes Gnade und dessen Wirken auf das Heil des Menschen. Martin Luther, (Wittenberger Reformation), Huldrych Zwingli und Jean Calvin (Schweizer Reformation) sind deren Gründungsgestalten.
Neben der Evangelisch-Lutherischen und der Evangelisch-Reformierten Kirche entwickelte sich noch eine dritte Linie aus: der sogenannte „Linke Flügel“ der Reformation, aus dem die Täuferkirchen wie z.B. die Mennoniten, später auch die Baptisten hervorgegangen sind. Eine besondere, in England entstandene Tradition ist die Anglikanische Kirche, die in ihrer Liturgie und den kirchlichen Ämtern sehr katholisch wirkt, in ihrem Bekenntnis aber sehr protestantisch ist. Im Pietismus des 18. Jahrhundert und v.a. mit der sogenannten Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts entstanden viele Gemeinschaften, die in Deutschland unter dem Laible „Freikirchen“ zusammengefasst werden: Die Methodisten, die Freien Evangelischen Gemeinden, die Siebenten-Tags-Adventisten oder auch die Apostolischen Gemeinden.
Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich mit dem Ausbruch von charismatischen Geist-Erfahrungen innerhalb der verschiedensten Kirchen schließlich die Pfingstkirchen, die weltweit die mit Abstand zahlenmäßig größte protestantische Strömung darstellen. Bereits im 19. Jahrhundert entwickelte sich aus einer reformkatholischen Strömung, welche es ablehnte dem Papst Unfehlbarkeit in Lehrfragen zuzugestehen, die Alt-Katholische Kirche. Die Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1912 gilt als Startpunkt der Ökumenischen Bewegung. Theologische Fragen zu Glaube und Kirchenverfassung sowie Anliegen des praktischen Christentums (z.B. Ökumenische Friedenskonferenzen) ergänzten den Ökumenischen Dialog, so dass 1948 in Amsterdam von protestantischen und orthodoxen Kirchen der Ökumenische Rat der Kirchen gegründet wurde. Die Römisch-Katholische Kirche ist kein Mitglied, arbeitet aber theologisch mit.
Auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene wurden im Anschluss Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen (ACK) gegründet. In Bayern besteht die ACK seit 50 Jahren. 21 Kirchen sind Vollmitglied (auch die sieben katholischen Diözesen Bayerns), weitere haben Gaststatus (z.B. die Neuapostolische Kirche).Ökumene ist vielfältig. Es gibt nicht nur „Katholisch“ und „Evangelisch“, sondern auch die in Bayern kleinen Kirchen. Alle sind Teil der vielfältigen, der Einen Kirche.
Stefan Meyer