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„Was es spirituell braucht, ist eigentlich nicht viel“, diese Ansicht vertritt ausgerechnet ein promovierter Theologe. Bei seinem von persönlichen und beruflichen Erfahrungen gespeisten Vortrag im Ökumenischen Zentrum machte Dr. Wunibald Müller deutlich, welche für ihn die zentralen Aspekte von Spiritualität sind.

In einer „Welt zum Verzweifeln, aus der man am liebsten davonlaufen würde“, stelle wohl nicht nur er selbst die Frage, was den Menschen trägt und hält, sprach Müller seiner Zuhörerschaft gleich zu Beginn aus dem Herzen. Für ihn selbst liege die Antwort darauf – neben nahestehenden Menschen vor allem im „Wissen, Ahnen und Erfahren, dass es einen tieferen Grund gibt, in dem ich verwurzelt bin und der unzerstörbar ist“, so der Theologe, Psychotherapeut und langjährige Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach. Dieses Wissen sprenge den eindimensionalen Blick auf das Leben, der Blick auf das Jenseits mache das Diesseits erst vollständig. „Das ist ein gewaltiger Sprung“, gibt Müller zu, „aber ich wage ihn immer wieder, weil ich überzeugt bin, dass es Dimensionen gibt, die über das Greifen und Begreifen hinausgehen, über die wir nicht verfügen, aber zu denen wir einen Zugang haben können.“ Für ihn gibt es „einen Grund, in den ich mich verankern und den ich berühren kann. Für mich ist dieser Grund Gott. Und solange ich mit diesem Grund in Berührung bin, haut mich nichts so schnell um. Bin ich es nicht, werde ich anfälliger für Depressionen und Angst.“

Um in Kontakt zu diesem Grund zu kommen, braucht es für Wunibald Müller nicht viel. Es sei sogar so wenig, „dass es in einen Bauchladen passt“ (Fulbert Steffensky). Wichtigster Bestandteil seines persönlichen spirituellen Bauchladens sei der Gaube und die Erfahrung, „mitten im Leben an das Grenzenlose angeschlossen zu sein“. Inmitten einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, gebe es das Angebot von etwas Unzerstörbarem. Durch Innehalten, Meditation und Kontemplation könne der Mensch „mit dieser Welt des Grenzenlosen in Berührung kommen“, so Müller und berichtet von „einem Moment der Zeitlosigkeit in der Zeit, einem Hauch von Ewigkeit“ beim Sitzen in Stille. Denn: „Gott lässt sich eben nicht rational erfassen, sondern nur ganzheitlich erspüren“ (Hans Küng).

ÖZ FK 2 24 Hauptvers 1kleinFoto: Anja LeggeMindestens ebenso zentral sei für ihn, sich „voll auf Gott einzulassen, alles auf Gott zu setzen“. Ein solches Vertrauen bedeute manchmal Schwerstarbeit, denn: „Gott ist keine Versicherung, die man ein Mal im Leben abschließt, ich muss mich immer neu auf ihn einlassen“ – und das berühre zuweilen die Substanz. Wie solches Vertrauen funktioniert, verdeutlichte Müller anhand eines Bildes des Theologen Henri Nouwen, der im Zirkus Barum die Trapezkünstler Flying Rodleighs erlebte: „Als Luftspringer muss ich absolutes Vertrauen auf den haben, der mich auffängt. Sie und das Publikum halten vielleicht mich für den großen Star am Trapez, aber der wirkliche Star ist John, mein Fänger. (…) Das Geheimnis besteht darin, dass der Flieger nichts tut und der Fänger alles! Wenn ich auf John zufliege, muss ich bloß meine Arme und Hände ausstrecken und darauf warten, dass er mich auffängt.“

Ein wichtiger Weg, sich mit dem ewigen Grund zu verankern, ist für Müller auch das Gebet. Denn Glaube bedeute eben nicht, über Gott zu reden, sondern mit Gott zu reden. Und genau das tue er selbst immer wieder – mitten am Tag sowie zu festen Zeiten. Die Glaubenswahrheiten und Dogmen der Kirche dagegen stehen für den Theologen „nicht im Zentrum“. Zu einer Kirche zu gehören schenke ihm das Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Kirche sei ein Versuch, „uns zu unterstützen uns Gott zu nähern“. Lehrsätze aber vermögen nur unzulänglich zu beschreiben, was unbeschreiblich ist. Oder wie Karl Rahner scharfzüngig formulierte: „Dogmen sind Straßenlaternen in der Nacht. Sie weisen den Irrenden den Weg durch die Dunkelheit. Aber nur Betrunkene halten sich daran fest.“ Die Kirche gehört für Wunibald Müller dann in den spirituellen Bauchladen, wenn sie „die Glut des Glaubens hütet“ und den Blick auf Jesus nicht verstellt. Eine große Ausnahme bildet für den gläubigen Christen die Eucharistie: „Sie ist der Ort, an dem ich am stärksten die Verbindung zwischen Himmel und Erde spüre, an dem ich Gott besonders nahe bin, an dem man Hunger noch mehr gestillt wird.“ÖZ FK 2 24 Müller 2kleinFoto: Anja Legge

Darüber hinaus plädierte Müller für eine Spiritualität, die sich nicht auf die Sphäre des Heiligen beschränkt, sondern „alle Aspekte des Seins als Arena für Gottes Wirken betrachtet“ und die Trennung von Geistlichem und Weltlichem überwindet. Gott lasse sich auch außerhalb der Kirche entdecken, „die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“ (Beuys) oder um es mit Alfred Delp zu sagen: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.“ Erst wenn wieder mehr Buntheit und Freude in die Kirche einziehe – etwa durch die Segnung schwuler und lesbischer Paare, die Offenheit für LGBTQ, Frauen in Ämtern der Kirche –, fühle Gott sich in der Kirche wohl, zeigte sich Müller überzeugt.

Zum Ende ermutigte er die gebannt lauschenden Zuhörenden, den eigenen Bauchladen durchzusehen: Welche Dinge haben sich bewährt? Muss das ein oder andere entrümpelt werden? Und bin ich offen für Neues? Den zahlreichen Nachfragen nach zu urteilen, sind die Lengfelderinnen und Lengfelder zu einer persönlichen Bestandsaufnahme bereit.

Anja Legge

Buchtipp: Wunibald Müller: Was es wirklich braucht: ist letztlich gar nicht so viel. Echter-Verlag 2021.  ISBN: 978-3429056650. 12,90 Euro.

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