Da wir viel mit der JVA zu tun haben und einen Großteil unsere Zeit dort einbringen, hatten wir uns vor einigen Jahren vorgenommen, in unserem Haus keine Strafentlassenen als Mieter anzunehmen. Bis wir Raimund kennen lernten.
Eine Freundin hatte uns den jungen Mann vorbeigeschickt. Und noch bevor er die Wohnung überhaupt besichtigt hatte, machte er uns mit seiner Ehrlichkeit und Offenheit sprachlos. „Ich bin seit vielen Jahren trockener Alkoholiker und habe auch schon im Knast eingesessen“, erzählte er freimütig. Aus einem sozial schwachen Umfeld kommend, hatten Gewalt, Überfälle und andere Straftaten zu einer Knastkarriere geführt. Des Schreibens und Lesens unkundig fand er schließlich im Ebracher Jugendknast eine Sozialarbeiterin, die ihn förderte. Wieder in Freiheit absolvierte Raimund eine Lehre als Maler und fing an zu schreiben.
Rasch waren wir uns einig, dass Raimund – entgegen aller Vorsätze – unser neuer Mieter werden würde. Und schon bald nach seinem Einzug entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung zu dem hilfsbereiten, offenen und ehrlichen jungen Mann. Als Raimund dann an der Lungenerkrankung COPD erkrankte, haben wir uns intensiv um ihn gekümmert. Vor acht Wochen ist er gestorben.
Wenn wir zurückschauen, sehen wir: Raimund war ein Geschenk für uns. Er hat uns gezeigt, dass es für uns gut war, unsere Vorsätze über Bord zu werfen und einander von Mensch zu Mensch zu begegnen. In den anderen hineinzuschauen, ihm eine neue Chance zu geben, hat uns zu Freunden gemacht.
Das neue Jahr 2021, das in wenigen Tagen anbricht, lädt uns zu neuen Vorsätzen ein. Vielleicht ist es auch für Sie „dran“, alte Vorsätze einfach über Bord zu werfen und Neues zu wagen?
Wir wünschen ein gesegnetes und spannendes Jahr 2021
Euer Diakon Richard Pollak mit Ingrid